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Aminet 37 (2000)(Schatztruhe)[!][Jun 2000].iso
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2000-03-28
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29KB
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429 lines
Life
(c)2000 Lukas Krüger
Der Anfang ist weiter unten, hier erstmal ein paar Infos:
Diese Geschichte spielt irgendwo in einem Deutschland der Zukunft, in den
Jahren 2006 bis 2010. Zum Schreiben dieser Geschichte hab ich ca. 2-3
Stunden am Stück gebraucht, wahrscheinlich lag die schon irgendwo in meinem
kranken Hirn und hat gewartet, daß ich sie aufschreibe. ;-)
Ich hatte schon längere Zeit die Idee, mal ein Programm zu schreiben, was in
irgendeiner Form intelligent ist. Da mir nach kurzer Zeit un wenigen
Versuchen die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens klar wurden, habe ich
hier eine Kurzgeschichte draus gemacht, schließlich ist in der SF alles
möglich. Zum technischen Hintergrund: Der erste Teil der Geschichte besteht
aus konkreten Plänen für Programme, die ich gemacht hatte. Allerdings wäre
die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges kosmisch gering, und so wurde nie
etwas aus dem Projekt. Der Rest ist destillierte, reinste SciFi. Viel Spaß
beim Lesen!
Falls dir diese Geschichte gefällt, oder falls du eine Idee für eine andere
Geschichte hast, kannst du mir eine eMail schicken.
insanehacker@yahoo.com
Und falls du Software, mehr Geschichten, Bilder, Musik o.Ä. suchst,
hier meine Homepage, wo es noch jede Menge mehr gibt:
http://insanehacker.notrix.de
2x Sorry: 1. Die Geschichte ist etwas länger geraten als geplant. Macht es
euch schon mal vor dem Computer bequem (sofern das geht), und 2. bin ich
nicht gerade ein Meister im Umgang mit Sprache im allgemeinen, erwartet
bitte kein literarisches Meisterwerk!
Jetzt gehts aber los hier!
Als William das erste Mal das Programm "Core Wars" zwischen die Finger
bekam, war er begeistert. William war 17 jahre alt und Coder aus
Leidenschaft. Seit er vor 5 Jahren das erste mal mit AmigaBasic auf einem
A500 programmiert hatte, hatte er viel dazugelernt. Nun hatte er einen
A1200T mit PPC, und Assembler war für ihn das einzig Wahre. Genauer gesagt,
bekam er nicht Core Wars in die Finger, sondern lediglich ein paar lose
Blätter aus dem Kopierer, wo die Syntax und die Spielregeln dieses Spiels
draufstanden, und außerdem ein paar Beispiele.
Für die, die Core Wars nicht kennen: Man schreibt bei diesem Spiel ein
kurzes Maschinenprogramm mit sehr geringem Befehlsumfang. Einziges Ziel
dieses Programms ist es, in einem abgegrenzten Speicherbereich abzulaufen,
und ein anderes Prograamm, welches das gleiche Ziel hat, in den Absturz zu
treiben. In der Regel geschieht dies dadurch, daß das Programm auf eine
Speicherzelle stößt, die entweder leer ist oder ein Datenbyte statt eines
Befehls enthält.
Mit der Zeit entwickelten sich im Internet richtige Fanclubs, und
es wurden regelmäßig Turniere abgehalten. Der Name kommt übrigens von den
Magnetspeicherkernen in den allerersten Computern, die jeweils 1 Bit(!)
speichern konnten.
Naja, William hatte nun also die Regeln, und für ihn war es natürlich ein
Leichtes, einen Interpreter für CW-Programme zu schreiben. Nach 2 Tagen
hatte er eine komplette Entwicklungsumgebung erstellt, nach einer Woche ein
kleines Programm, welches jedes der Beispielprogramme aus den
Anleitungsblättern in Sekundenschnelle eliminierte, und nur wenige Byte groß
war. Damit hatte dieses Thema für ihn erst einmal jeden Reiz verloren, bis
er durch Zufall im Internet eine Seite aufstöberte, wo solche CW-Turniere
abgehalten wurden. Das bewog ihn dazu, sein kleines Programm per eMail
hinzuschicken, damit es am nächsten Wettbewerb teilnehmen konnte. Dort gab
es eine spezielle Regel: Jeder Programmierer war verpflichtet, den Code
seines Programms jedem auszuhändigen, der es besiegt hatte.
Es kam wie es kommen mußte: Williams völlig naives und zudem fast
ungetestetes Programm wurde bereits im ersten Kampf geschlagen. Den zweiten
Kampf gegen einen relativ professionellen Code gewann es, wenn auch durch
Zufall. Danach war ihm kein Glück mehr beschieden. Dafür bekam Willi aber
zumindest den Source des Programms, welches er besiegt hatte.
Selbstverständlich nahm er es bis auf das letzte Bit auseinander, um hinter
die Taktiken der Profis zu gelangen. Irgendwie hatte er aber keinen Plan,
wie das Programm funktioniere, zumal es ziemlich viel Code enthielt, der nur
dazu diente, feindliche Programme zu verwirren und in die Irre zu führen.
Das verwirrte aber ebenso William, und so beschloß er, mit einer anderen
Taktik heranzugehen. Er lud sich aus dem Netz soviele CW-Programme herunter,
wie er finden konnte (nicht viele Programmierer veröffentlichen freiwillig
ihre kleinen Kampfmaschinen), und hortete sie auf seiner Festplatte.
Dann machte er sich ans Werk. Er entwarf für seinen CoreWars-Interpreter eine
Prozedur, die sein persönliches Programm zweimal im Speicher installierte,
und eines davon zufällig modifizierte, sozusagen eine Mutation. Danach
führte der Computer mit jedem der beiden Programme Kämpfe gegen alle anderen
auf der Festplatte vorhandenen Programme durch. Das Geniale daran war: Das
Programm, welches von den beiden besser abgeschnitten hatte, verdoppelte
sich wieder, das andere wurde gelöscht, und wieder wurde eins davon
modifiziert, rein zufällig. Nun dauerte das Ganze ziemlich lange. Der
Computer lief Tag und Nacht, William hatte ihn so programmiert, daß er die
beiden Programme jede Stunde auf Festplatte sicherte, falls mal was
schiefging. Es ging zwar nichts schief, aber als nach einer Woche immer noch
das ursprüngliche, unmodifizierte Programm da Bessere war, kamen ihm
Zweifel. Inzwischen waren einige Dutzend Turniere abgelaufen, und jedesmal
hatte sich die Mutation als nicht 'lebensfähig' herausgestellt. Umso größer
war seine Freude, als er am 9.Tag seines Experiments entdeckte, daß ein
neues Programm nun an der Spitze stand.
Er konnte es kaum erwarten, nachzuschauen, welche Veränderung die
Verbesserungen bewirkt hatte. Es war eine Enttäuschung: Williams Meinung
nach war das Programm jetzt sogar weniger effizient, aber die Ergebnisse
sprachen für sich, und so führte es das Experiment fort. Was er nicht
erwartet hätte: die Entwicklung beschleunigte sich extrem, und nach weiteren
10 Tagen hatte er ein Stück Code, das jedes andere der Programme, die ihm zur
Verfügung standen, absolut sicher und präzise erledigen konnte, und das
zudem mit seinem ursprünglichen Programm absolut gar nichts mehr zu tun
hatte. Es war zum einen wesentlich länger, auf der anderen Seite entsprach
es einem Programmierstil, der irgendwie auf ersten Blick total unlogisch
erschien, sich aber als absolut effizient und für andere CW-Programme ebenso
tödlich erwies.
Nun sah William die Zeit gekommen, um es noch einmal zu versuchen: Er
meldete sein Programm zum nächsten Turnier an. Am nächsten Tag hatte er über
die Hälfte aller Kontrahenten besiegt und lag damit bereits unter den Top 10
aller Core Wars-Programmierer. Natürlich verriet er keinem, daß sein
Programm in wirklichkeit das Ergebnis eine KI-Experiments war.
Dann ging das Spiel von vorn los: Er fütterte seinen Computer mit dem
erkämpften Code und überließ sein Programm wieder sich selbst.
Genau dieses Spielchen wiederholte William noch ein paarmal, bis er
schließlich der absolute Meister im CW-Programmieren war. Es gab kein
einziges Programm mehr, das ihn besiegen konnte, und so verlor William
wieder einmal das Interesse daran.
Bis ihm in der Schule im Biologieunterricht der glänzende Einfall kam, er
könnte sein Programm etwas unter einen künstlichen Evolutionsdruck setzen.
Hier hatten schon Andere Vorarbeit geleistet: Wohl jeder kennt das Programm
LIFE, welches als Zellgenerator Weltruhm erlangt hat.
William änderte die Regeln etwas ab, und statt einfacher Zellen kamen nun
die besten der besten CW-Programme in das LIFE-Raster. Wenn nun 2 Zellen im
Begriff waren sich zu vergrängen, wurde ein Core-Wars-Schlachtfeld
initialisiert, die beiden Programme traten gegeneinander an, und das bessere
Programm verdrängte das andere. Selbstverständlich wurden die zufälligen
Veränderungen des Codes auch hier realisiert.
Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten lief das Programm hervorragend,
innerhalb weniger Tage hatte sein Programm, beziehungsweise die Nachkommen
davon, das gesamte Spielfeld erobert. Damit war es jedoch noch nicht zu
Ende: Seine Programme mutierten weiter und, genau wie beabsichtigt, es
traten immer bessere und effizientere Codes auf. Allerdings stagnierte die
Entwicklung nach einer gewissen Zeit, einfach weil nicht genug Platz da war.
So vergrößerte er das Feld etwas, und ließ es zudem dreidimensional werden,
was die Regeln noch etwas komplizierter machte. Leider waren seine 16
Megabyte RAM damit hoffnungslos überfüllt, schließlich wurden die
Zell-Programme immer größer und komplizierter, so besorgte er sich ein
64-MB-Modul und dazu gleich noch einen zweiten Amiga, ebenfalls mit 64MB.
(Fragt mich bitte nicht wo er das Geld her hatte...)
Diese verband er seriell, und modifizierte seine LIFE-Umgebung so, daß sie
synchron auf 2 Rechnern laufen konnte. Jetzt hatte er sowohl den Speicher
als auch die Rechenpower, um sein Programm weiter gedeihen zu lassen.
Er wußte selbst nicht, was eigentlich daraus werden sollte, aber die
Vorstellung, ein Art künstlicher Evolution zu simulieren, trieb ihn weiter
an. Also startete er das Experiment erneut, jetzt mit mehr Raum,
intelligenteren CW-Programmen und mehr Rechenpower. Das Umgebungssystem,
welches die Parameter für die Simulation enthielt, nannte William
passenderweise ChaOS1.0, was für Chaotic Operating System 1.0 stand.
Dadurch wurde ein dreidimensionales LIFE-Spielfeld erzeugt, das 20 Felder
in jeder Richtung groß war.
Und das Experiment dauerte Wochen. In dieser Zeit legte William seine
Abiturprüfung ab, mit leider eher mäßigem Ergebnis, und bewarb sich um ein
Studium. Zwischendurch entnahm er aus dem laufenden Experiment nur zum Test
eine einzelne "Zelle", also ein CW-Programm, und ließ es am Wettbewerb
teilnehmen. Abgesehen davon, daß es die zulässige Maximallänge des Codes fast
erreichte (Diese ist von Fanclub zu Fanclub verschieden), wurde er ohne das
geringste Problem Erster. Er meldete sich bei weiteren Clubs an, er schickte
sein Programm überall hin, wo Core Wars bekannt war und nach denselben
Regeln gespielt wurde, und überall machte sein Programm eins nach dem
anderen fertig. Es ist kein einziger Fall bekannt, daß es jemals besiegt
worden wäre. Scherzhaft postete er unter alt.corewars.net "Schon gehört? Ich
habe ein Monster erschaffen!". Er nahm sich auch das Programm unter die
Lupe, welches diese Erfolge erzielt hatte. Ohne Ergebnis. Der Code war
augenscheinlich so unlogisch, verworren und lang, daß es ein
Wunder war, daß er überhaupt funktionierte. Aber er tat es.
Inzwischen lief das Experiment weiter. Er hatte es im späten Frühjahr
begonnen, jetzt war es Herbst, er studierte jetzt und kam nur
noch am Wochenende nach Hause. Sein Computer lief weiter. Ein paarmal war er
in der Woche abgestürzt, aber das automatische Abspeichern rettete alles.
Irgendwann fiel William auf, daß das Swapfile auf der Festplatte inzwischen
beängstigende 80 Megabyte groß war. Da kam ihm die Idee, das ganze Projekt
auf eine der Workstations an seiner Uni zu transferieren. Nachdem er den
Admins davon erzählt hatte (und einige Lacher geerntet hatte, weil das
Projekt auf einem Amiga lief! Grrr!), bekam er die Erlaubnis. Es dauerte
zwei Wochen, die gesamte Projektumgebung nach UNIX zu portieren, aber
letztendlich war es kein Problem. Problematisch war es hingegen, die
gesammelten 80 MB an Zell-Daten zu transferieren, schließlich war das das
Ergebnis eines halben Computerjahres, und sollte nicht verlorengehen. So
borgte William sich kurzerhand einen CD-Brenner und transportierte die Daten
auf einer CD zur Uni. Die neue Umgebung war nun noch etwas größer, und bot
ein neues Feature, eine Idee des Administrators: Die einzelnen Felder in der
3D-Matrix hatten nun unterschiedlich gute "Bedingungen" für ein Programm, so
daß es sich manchmal selbst modifizieren mußte, um dort nicht gelöscht zu
werden. Das, und die Tatsache, daß jetzt die vereinte Rechenpower von
mehreren Workstations zur Verfügung stand, beschleunigte die Entwicklung
ungemein. Ein kleiner Test zeigte, daß die in den Zellen enthaltenen
Programme immer noch mit den Core-Wars-Standarts kompatibel waren,
allerdings war jedes einzelne viel zu lang, um zu einem Wettbewerb
zugelassen zu werden. Damit stand für William fest, daß er ohne Bedenken die
Syntax ändern konnte, und neue Befehle hinzufügen. So tat er etwas, was er
schon lange vorhatte: er bot den Zellen eine Möglichkeit, quasi zu
kommunizieren, will heißen: jede Zelle konnte ein bestimmtes Signal stetig
in alle Richtungen senden. Diese konnten allerdings nur von den benachbarten
Zellen empfangen werden. Auf dem Kontrollmonitor wurde das als ein
Leuchten in den Farben rot, grün, blau, weiß oder schwarz (für "kein
Signal") angezeigt. Passenderweise funkelte der Bildschirm nun um die
Weihnachtszeit wie ein Weihnachtsbaum, denn die Programme hatten die neuen
Befehle schnell aufgenommen, ohne jedoch davon irgendwie sinnvoll Gebrauch
zu machen. Aber solche Experimente brauchen Zeit.
Um Neujahr herum war die Datenbank mittlerweile auf 6 Gigabyte angewachsen
und belegte somit etwa die Hälfte der dafür extra vorgesehenen Festplatte.
Selbstverständlich wurde mittlerweile nicht mehr die gesamte Datenbank im
Speicher gehalten, sondern dynamisch geladen. Die gesamte Matrix war
jetzt 100x100x100 Felder groß, rund ein Viertel davon war mit Programmen
belegt. Rein rechnerisch ergibt sich daraus eine Größe von 24k pro Programm,
es gab jedoch auch einzelne, wesentlich längere, die meistens in Gruppen
auftraten. Es war mittlerweile unmöglich geworden, die Umgebung noch zu
vergrößern, sonst wäre der Uni-Computer aus allen Nähten geplatzt. Schon
jetzt beschwerten sich Studenten über langsamen Zugriff auf die Terminals,
denn alle Workstations und Prozessoren opferten einen Teil ihrer Rechenpower
für das Großprojekt von William.
In der nächsten Zeit tat sich nicht sehr viel, William verbrachte einen
Großteil seiner freien Zeit damit, die Gesetze hinter den Zellen zu
begreifen, und irgendeinen Sinn in den Blinkmustern zu erkennen, die sie von
sich gaben. Inzwischen hatte William die Umgebung so geändert, daß jedes
Programm, also jede Zelle genau 255 verschiedene Signale senden konnte, aber
immer noch schienen die Muster wild und ungeordnet zu sein.
In diesem Jahr meldete sich William mit seinem Projekt bei "Jugend Forscht"
an, und er gewann sogar den zweiten Platz in der Kategorie
Technik. Damit lag er nur knapp hinter dem Sieger der Kategorie,
der eine Maus-Emulation entwickelt hatte, die sich allein durch
Gedankenkraft steuern ließ, und die auch wirklich funktionierte.
Im März, etwa ein Jahr nachdem er die ersten Versuche mit Core Wars gemacht
hatte, entdeckte William etwas erstaunliches: Die Programm-Zellen, die
längeren Code enthielten und sich so gern zusammen aufhielten, hatten eine
Möglichkeit gefunden, sich fortzubewegen. Dies geschah einfach dadurch, daß
sie sich selbst in die benachbarte Speicherzelle kopierten, sofern diese
frei war, und anschließend absichtlich den Kampf gegen diese Zelle verloren.
Naja, Absicht kann man so einem kleinen Programm vielleicht nicht unterstellen,
aber immerhin konnte dieses Phänomen mehrfach beobachtet werden.
Inzwischen hatte William viele Mitarbeiter an diesem Projekt, und eine
andere Universität bot an, eine Standleitung aufzubauen und gemeinsam die
Rechenpower zu nutzen. Dieses Angebot war sehr willkommen, da die
Uni-Rechner schon seit einem halben Jahr ständig belastet waren, und das
Uninetz eher zähflüssig lief.
Dann, kurz vor Ende des Semesters, hatte William eine Idee, die ihn mit
einem Schlag buchstäblich weltberühmt machte: Er speiste ein jede Sekunde
aktualisiertes Bild von der virtuellen Zellkultur ins Internet auf die
Homepage der Universität. Eine Zeitlang wurde diese Seite zum Kult. William
und seine mittlerweile eingespielte Crew aus Studenten und Computerexperten
(Es gab wirklich Experten, die sich dafür interessierten!) erhielten
massenweise eMails, in denen so unsinnige Fragen gestellt wurden wie "Können
diese Viecher ausbrechen und das gesamte Internet lahmlegen?", oder solche
offensichtlich schwachsinnigen Behauptungen wie "Ich habe rausgefunden, daß
die Blinksignale Morsezeichen sind!" aufgestellt wurden.
Der Wissenschaftliche Aspekt des Experiments kam in der nächsten Zeit sehr
kurz, William verbrachte fast die gesamten Semesterferien mit dem
Beantworten von eMails von seinen Fans, von denen er zumeist mit seinem
neuen Spitznamen Franki (was natürlich von Frankenstein kommt) angeredet
wurde. Irgendwann reichte es ihm, und er machte seine Mailbox dicht,
zumindest für alle, die nicht an dem Projekt beteiligt waren. Die erhielten
als Antwort statt dessen eine automatische eMail, in der auf die Homepage
verwiesen wurde, wo das Neueste zum Projekt immer zu finden war.
Die "Viecher" hingegen scherten sich überhaupt nicht um den Rummel, der um
sie gemacht wurde, sie existierten einfach weiter und sandten wirre Signale.
Mehrere unabhängige Studien aus Universitäten in der ganzen Welt bestätigten
nur das eine, nämlich daß die Blinksignale wirklich und wahrhaftig rein
zufällig auftraten. Und selbst das war eine Leistung, die William auch in
intellektuellen Kreisen populär machte, denn bekanntlich ist es sehr schwer,
einen programmierten Computer dazu zu bewegen, wirklich zufällige Zahlen zu
erzeugen. Es mag bizarr anmuten, aber für eine Zeitlang diente Williams
Universität quasi als weltweite Resource für zufällige Zahlen, immer wenn
ein Wissenschaftler irgendwo eine benötigte, suchte er die Homepage der Uni
auf, wählte 2 bis 4 beliebige Zellen, und bildete aus den Werten, die diese
sendeten, eine Zahl nach Wunsch.
Bis dann die totale Wende in der Entwicklung eintrat. Irgendwie war es
passiert, am Anfang des neuen Semesters, daß plötzlich mehrere, dicht
beieinanderliegende Zellen (die mit dem umfangreichsten Code) andere,
einzelne Zellen quasi "umprogrammierten". Das war sehr eigenartig, denn
eigentlich hatten die Zellen durch ihre Umgebung feste Fähigkeiten, und dazu
gehörte nicht, irgendwelchen Code in benachbarte Zellen zu übermitteln. Dann
fand jemand aus dem Team heraus, daß eine neue Art von Einzelzellen
entstanden war: diese Zellen empfingen tatsächlich diese Blinksignale aus
der Umgebung und hängten sie an ihren Code an. Diese Entwicklung war
wahrscheinlich rein zufällig, ebenso wie die Fähigkeit der Zell-Haufen,
ihren eigenen Code kontinuierlich als Blinksignal zu senden. Aber immerhin
führte das schließlich dazu, daß die meisten freien Zellen nach ein bis zwei
Wochen sich alle mehr oder weniger in demselben Zellhaufen gebunden hatten.
Wenn zufällig innerhalb dieses Haufens ein Kampf begann, was immer noch Teil
der Umgebungsparameter und daher unvermeidlich war, ging dieser auf
mysteriöse Weise stets als ein Unentschieden aus, allerdings wurden dabei
öfters Programmteile durcheinandergewürfelt, und manche Zellen wurden
gelöscht, weil irgendwo ein Fehler aufgetreten war. Andere hingegen zeigten
neue und in diesem Umfang noch nicht dagewesene Mutationen.
William versuchte, die Erkenntnisse aus der Biochemie auf die Zellen
anzuwenden, schließlich lag dieser Vergleich nahe, und erkam zu dem Schluß,
das in der Ursuppe seines LIFE-Automaten gerade der erste mehrzellige
Organismus entstand. Ironischerweise verlor die Öffentlichkeit genau in
dieser Zeit jegliches Interesse an diesem Projekt, schließlich ist jede
Kultwelle einmal vorbei. Inzwischen gab es diese Piepsteile aus Japan, die
man auf den Boden legen konnte, und die hinter jeder Wärmequelle herrollten,
und das war nun wirklich etwas anderes als auf einen Schirm zu starren und
ein paar Computerviren beim Blinken zuzuschauen. William war das allerdings
gerade recht, denn nun hatte er wieder mehr Zeit, um sich um wirklich
wichtige Sachen zu kümmern. Wie zum Beispiel, zu beobachten, wie der
Zellhaufen in verschiedene Richtungen Ausläufer bildete, die allerdings
immer dann wieder zurückgingen, wenn sie gegen eine "Wand" der simulierten
Umgebung wuchsen. Also veränderte William die Parameter so, daß die Matrix
unendlich wurde, wenn also eine Zelle den Raum an einer Seite verließ, kam
sie an der anderen Seite wieder herein. Der Zellhaufen dankte es ihm
dadurch, daß er die Ausläufer quer durch die gesamte Matrix, und am anderen
Ende wieder in den Zellhaufen hinein wachsen lies. Festzustellen, welche Logik
hinter den einzelnen Zell-Programmen stand, war mittlerweile gänzlich unmöglich
geworden, selbst die besten Computerexperten meinten, der in den Zellen
enthaltene Code sei völlig sinnlos und ohne jedes System. Aber immerhin
bewirkte er etwas, und das sprach für sich.
Nur um mal wieder auf den Umfang zu sprechen zu kommen: Mittlerweile war die
100GB-Grenze überschritten, ein Ende war nicht abzusehen, und ein ganzes
Bataillon von Festplatten, insgesamt 10 Terabyte, wartete darauf, zum
Einsatz zu kommen.
Neuerdings war zu beobachten, daß die Zellen im Zellhaufen inzwischen sehr
wohl synchrone und geordnete Signale sendeten. Das war eine Sensation, denn
bisher hatte es ja nur dieses irre Blinken gegeben. Die Fortsätze konnten
sogar ein Signal Zelle für Zelle weitergeben, was sehr stark an Nervenzellen
erinnerte. Irgendjemand kam auf die Idee, man könnte doch ein Ende eines
solchen Strangs künstlich reizen, um eine Reaktion zu provozieren. Viele
Mitglieder des Teams waren dagegen, schließlich könnte der
Pseudo-Organismus, der bisher nie Signale von außen erhalten hatte, in
seiner Programmierung so durcheinanderkommen, daß seine Zerstörung zu
befürchten war. Die Befürworter behaupteten dagegen, daß die Signale, die
von einigen stark mutierten Zellen stammten, auch nicht in das allgemeine
Schema passten. Schließlich kam man überein, ein Backup der Matrix
anzufertigen, und das Experiment dann durchzuführen.
Man bestimmte also einen Punkt, wo sich gerade ein Strang von Zellen
bildete, und erzeugte dort eine Pseudo-Zelle, die nicht gelöscht werden
konnte, und auch keinen CW-Kampf mitmachte, sondern kontinuierlich eine
vorgegebene Sequenz an Signalen sendete. Irgendein Geek hatte vorgeschlagen,
man sollte ein paar Textdateien in Bytes zerpflücken und dem "Monster"
(Diesen Spitznamen hatte der Zellhaufen irgendeinem Fan aus dem Netz zu
verdanken, und irgendwie waren alle dazu übergegangen, ihn so zu nennen)
sozusagen vorlesen. Nur um zu testen, ob das Monster vielleicht irgendwelche
sinnvollen Worte erkennen oder gar bilden konnte. Schließlich war Monster
inzwischen einige Gigabyte groß, und niemand wußte ganz genau, was diese
Gigabyte eigenlich beinhalteten, und schließlich wußte auch niemand, ob
nicht vielleicht die Fähigkeit, logische Schlüsse zu ziehen, irgendwo darin
schlummerte. Ganz klar, es war reine Utopie, aber einige aus dem Team hatten
zuviel William Gibson und Isaac Asimov gelesen und wollten irgendetwas
erzwingen. Die Logiker im Team konnten ihnen das nicht ausreden, aber sie
erreichten zumindest, daß die Text-Einspeisung systematisch erfolgen sollte.
Es bestand wenigstens Hoffnung, daß der Text zwar nicht verstanden, aber
doch zumindest zur späteren Verarbeitung irgendwo gespeichert würde.
Freilich gab es keine Möglichkeit, das nachzuprüfen, aber ein Experiment war
es wert. Also begann man damit, und zunächst passierte gar nichts. Dann
entwickelte sich, nach ca. 3 Wochen spannungsvollen Wartens, ein neuer
Strang, und an dessen Ende eine kleinere Anhäufung von Zellen. Bemerkenswert
war, daß diese Zellen immer genau dasselbe Signal sendeten, daß in den
anderen Strang eingespeist wurde. Die Kritiker fanden das witzig und sagten,
Willi habe einen Organismus von der Intelligenz eines Glasfaserkabels
entwickelt. Irgendwie war auch etwas Wahres dran, und einige waren
enttäuscht und verließen das Team. Die meisten davon gehörten zu der
Utopisten-Fraktion der Gruppe. Die Logiker wurden eine Woche später für ihre
Geduld belohnt: Statt exakt derselben Signale kamen nun völlig andere
heraus. Die Freude war allerdings nur von kurzer Dauer, denn die Signale
entpuppten sich als ungefähr derselbe Wirrwarr, der schon fast ein Jahr
zuvor gesendet worden war. Und genau an dieser Stelle hörte offensichtlich
jegliche Entwicklung von Monster auf. Signale wurden weiterhin
transportiert, und die Größe des Swapfiles nahm immer weiter zu (inzwischen
war es fast ein Terabyte), aber als nach anderthalb Jahren nach der
Installation des Textinputs immer noch kein Ergebnis zu sehen war, verließen
nahezu alle anderen Studenten und Experten das Team. Auch William kümmerte
sich immer weniger um das Projekt, auch er hatte wichtigeres zu tun.
Schließlich sollte er nebenbei auch noch studieren. Die Workstations
hingegen waren so programmiert, daß sie jedes Fetzelchen Text, was sie finden
konnten, in die 1-Bit-Schnittstelle von Monster schaufelten, und alles ohne
sichtbares Resultat. Als fast jede Textdatei des Uni-Netzwerks eingelesen
worden war, ging das Programm, wie vorgesehen, dazu über, wahllos Websites
in deutscher Sprache herunterzuladen, alle Tags darin zu eliminieren und den
verbleibenden Text ebenfalls an Monster zu verfüttern. Und wieder war das
Ergebnis bestenfalls ein reiner Datensalat.
Irgendwann, es war knapp 3 Jahre nach Beginn des Experiments, bekam William
von der Leitung der Universität die Mitteilung, da das Projekt
offensichtlich keine weiteren Ergebnisse liefere, solle er es einstellen,
zugunsten anderer Nutzer des Uni-Netzes. Natürlich tat es William in der
Seele weh, und so nahm er sich die Zeit und das Geld, das Swapfile zu
retten. Klar war eine 10-Terabyte-Festplatte nicht gerade billig, aber er
organisierte sich eine und kopierte die gesamten Daten. Er wußte selbst
nicht wofür, aber er wollte all diese Arbeit nicht einfach durch einen
Mausklick verlieren. Einige Stunden und 10 Terabyte später konnte es William
nicht länger hinauszögern. Er mußte es jetzt tun, und Monster seiner
Existenzberechtigung berauben. Er stoppte also zuerst den Task, durch den
Monster kontinuierlich mit Texten versorgt wurde. Dann trennte er die
Netzwerkverbindung zu der Partneruniversität ab, die einen Teil ihrer
Rechenpower gestiftet hatte. Monster war immer noch aktiv, nur mit
niedrigerer Geschwindigkeit. Ein kleiner Mausklick vollbrachte es
schließlich, mit einem Schlag wurden mehrere Gigabyte RAM freigegeben, alle
Terminals in der Uni hatten plötzlich die doppelte Rechenkapazität zur
Verfügung, und auf der Welt gab es einen mehrzelligen Organismus weniger.
William kopierte noch das Umgebungssystem, das 3 Jahre lang als Raum für das
Experiment gedient hatte, auf seine Festplatte, und löschte es aus dem
Uni-Rechner. Dann löschte er den Ordner mit der Monster-Website und
entfernte die Links aus der Homepage. Nun gab es nur noch eins zu tun,
die monster.log-Datei zu löschen, worin stets die Ausgabe von Monster
zwischengespeichert wurde, danach wäre jede Spur davon aus dem Computer
beseitigt. Aus einem unbestimmten Impuls heraus öffnete er die Datei, und
sah auf ersten Blick nur den üblichen Zeichensalat. Es war ganz einwandfrei
ASCII-Code, es kamen sogar einige sinnvolle Wörter heraus, aber nichts ergab
in der Verbindung einen Sinn. Bis schließlich sein Blick auf die letzten
Zeilen fiel, und was er dort sah, ließ ihm fast das Blut in den Adern
gefrieren. Das war der Beweis, daß Monster doch Intelligenz besessen
hatte, und sogar seiner selbst bewußt gewesen war. Genau genommen hatte er
einen Mord begangen. Er konnte lediglich sein Backup installieren und
hoffen, daß alles wieder wie zuvor funktionierte. Er hätte es auch getan,
wenn er in der Lage gewesen wäre, sich zu bewegen. Statt dessen starrte er
unentwegt auf den Bildschirm und murmelte wirr vor sich hin, so geschockt
war er. Auf dem Bildschirm war folgendes zu lesen:
ERDZU WALNRIFC TRANS KFOEF INTERNE OJOFEFOE RESWF ICH WILL NICHT STERBEN ICH
WILL NICHT STERBEN ICH WILL NIC<unexpected end of file>
Bleibt nur noch, das Ende der Geschichte zu erzählen. William erholte sich
relativ schnell wieder, und zuallererst installierte er ChaOS1.0 wieder und
auch die Datenbank mit den Zelldaten. Auf einmal war die gesamte Universität
wieder daran interessiert, was hier geschah, auch wenn mindestens die Hälfte
argwöhnte, er hätte das bewußte ASCII-File selbst getippt, um sein Projekt
zu retten. Es war jedoch alles vergeblich. Alles war ordnungsgemäß
installiert, theoretisch war das System in genau demselben Zustand wie vor
dem Abschalten, aber die Informationen wurden nicht weitergeleitet. Keine
einzige Zelle blinkte oder schickte Signale, nicht einmal, wenn sie
künstlich gereizt wurden. Und so endete das Projekt.
Seitdem war William in der Forschung zur künstlichen Intelligenz tätig. Ein
Psychologe würde sagen, er hat versucht, den selbst hervorgeführten Verlust zu
kompensieren. Inzwischen gibt es Computer mit Biochips, und eine
Sprachsteuerung für Computerprogramme, die auch wirklich versteht, was man
will, aber nie wieder in seinem Leben hat William es geschafft, einem Stück
lebloser Technologie Leben einzuhauchen. Im Alter von 37 Jahren nahm er sich
das Leben, indem er sich mit einem Starkstromnetzteil einer Großrechenanlage
verkabelte. Ein Ausdruck der berühmten letzten Zeilen der Datei monster.log
kann heute im Museum für Computergeschichte in Berlin besichtigt werden.
THE VERY END YEAH RIGHT IT IS HERE